Als Apostel Orson Pratt vor 150 Jahren versuchte, in Österreich einen ersten Zweig der Kirche zu organisieren, stießen seine Bemühungen auf unüberbrückbare Widerstände seitens staatlicher Stellen. Gut 50 Jahre später, nach dem Fall des Habsburger-Regimes, gelang die Gründung kleiner Gemeinden, die jedoch in der Ära des Nationalsozialismus wieder von der Landkarte verschwanden. Erst die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags im Mai 1955 und die knapp ein halbes Jahr später nachgereichte Anerkennung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ermöglichte es der Kirchenführung in Salt Lake City, wieder Missionare nach Österreich zu senden und Gemeinden aufzubauen, wie sie heute noch bestehen.
Im Pfahlzentrum Wien wurde am 19. September 2015 eine Gedenkfeier abgehalten, in der nicht nur der 60-jährigen staatlichen Anerkennung der Kirche in Österreich gedacht wurde, sondern auch der 35 Jahre zurück liegenden Gründung des ersten österreichischen Pfahles in Wien, am 20. April 1980, die durch Präsident Ezra Taft Benson im Auftrag des Propheten Präsident Spencer W. Kimball erfolgte.
Gleich am Anfang der Veranstaltung standen alle Anwesenden auf und sangen tief bewegt die Bundeshymne. Das Ehepaar Christa und Thomas Jankowsky, langjährige Mitglieder in Österreich, führten durch den Abend. Wilhelm Hirschmann, eines der ältesten Mitglieder in Österreich, begann die Reihe der Festredner. Er erzählte die Geschichte des leider schon verstorbenen Bruders Ing. Heinrich Teply.
Johann Wondra folgte ihm nach. Er berichtete, wie die Gründung des ersten Pfahles in Österreich zustande kam und welche Ereignisse dem vorangegangen waren. Es begann mit einem Besuch in Wien von Lorenzo Snow am 30. April 1873, der später auch Präsident der Kirche wurde. Ihm folgte Orson Hyde, der die Donau hinunter reiste und an Wien vorbeikam. Schließlich besuchte Ezra Taft Benson im März 1946 Wien. Als Missionspräsident für die Europäische Mission und veranlasste in dieser Funktion auch für Österreich eine Hilfsaktion. Benson kehrte am 19. April 1980 wieder, um dann am 20. April 1980 den ersten Pfahl in Österreich zu gründen - mit Wondra als Präsidenten.
Als nächster sprach Ernst Husz über die Weihung des Landes am 12. September 1992. Diese Weihung wurde von Howard W. Hunter durchgeführt am berühmten Kahlenberg. Er erzählte, wie Missionare der Kirche früh morgens auf den Kahlenberg fuhren und ihn reinigten, um den Ort etwas festlicher zu machen. Ernst Husz folgte Johann Wondra als Präsident des Pfahles nach. Monika Zornig erzählte über ihre Zeit als Präsidentin der Frauenhilfsorganisation der Kirche in Österreich. Sie führte den seither jährlich stattfindenden Frauentag ein. Viele Frauen haben beim Aufbau der Kirche in Österreich große Leistungen erbracht.
Einige Redner erinnerten auch an die schwierigen Zustände der Nachkriegszeit, die alliierte Besatzung vieler Teile Österreichs und die Freude der Bevölkerung über die wieder erlangte Freiheit, die von nun an im Gesetz verankert war. Für die Mitglieder der Kirche war diese Freude mehr als verdoppelt, da zugleich mit dem Staatsvertrag auch die staatliche Anerkennung unserer Glaubensgemeinschaft Wirklichkeit wurde. Dass diese Anerkennung 1955 erfolgen konnte, war, wie Bruder Johann A. Wondra zu berichten weiß, dem Glauben der Mitglieder und letztlich auch dem Einsatz von Bruder Dean Baxter zu verdanken, der im Kontakt mit hochrangigen Politikern wie Julius Raab und Leopold Figl und der amerikanischen Botschaft in Wien den Passus der religiösen Freiheit im Österreichischen Staatsvertrag entsprechend verankern ließ.
„Was bedeutet es für uns als Kirche, staatlich anerkennt zu sein?“, fragte auch Achim Erlacher in seiner Ansprache an der Herbstkonferenz des Pfahles Salzburg am 18. Oktober 2015. Er nannte zunächst die wesentlichen Erleichterungen für Missionare und örtliche Organisationen, da sich bei Ämtern und Behörden Türen aufgetan hatten, wenn es darum ging, Versammlungsräume anzumieten oder Gemeindehäuser zu errichten. Den Mitgliedern der Kirche wurde ein größeres Maß an staatlichem Schutz gewährt, sie durften fortan nicht mehr wegen ihrer religiösen Vorstellungen verfolgt oder verunglimpft werden, der Religionsunterricht an Schulen wurde zur ordentlichen Einrichtung. Doch das Geschenk der staatlichen Anerkennung bedeute, so Bruder Erlacher, weit mehr. Er rief die Mitglieder mit den Worten Präsident Dieter F. Uchtdorfs auf, die Möglichkeit der freien Religionsausübung zu nutzen, indem sie vermehrt Jesus Christus nachfolgen und den „Weg des Jüngers“ beschreiten sollten, einen Weg, der „nicht immer bequem und leicht“ sei, dessen Ziel jedoch jeder Mühe und Anstrengung wert sei. Auch die Worte des eben verstorbenen Apostels Elder Tom Perry während eines Österreich-Besuchs im Jahr 1981 wurden zitiert: „Offiziell anerkannt zu sein bedeutet, eine Position innezuhaben, in der einem vertraut wird, in der man Verantwortung trägt und Verantwortung weitergibt. Dazu gehören auch große Erwartungen: gute Bürger zu sein, bei allem, was man tut, sich an das Gesetz zu halten, dankbar zu sein für das Land, in dem man lebt und willig zu sein, an der Entwicklung dieses Landes mitzuarbeiten.“
Das Foto zeigt nochmals Präsident Ezra T. Benson während seines Besuchs in Österreich am 19. April 1980. Als die Kinder ihm zum Willkommen drei Lieder sangen, ging er auf sie zu und herzte sie. (Foto: Johann Wondra)