Gefängnisseelsorge – eine besondere Erfahrung und Herausforderung

Mit Einfühlungsvermögen, Inspiration und Geduld kann einem Häftling geholfen werden, den Glauben an sich selbst zurückzugewinnen.

Peter Mayrl vor dem Eingang zur Justizanstalt Stein.
Peter Mayrl vor dem Eingang zur Justizanstalt Stein.

von Peter Mayrl, Gemeinde Wien 5

Im Rahmen meiner Arbeit mit Jugendlichen lernte ich leider auch junge Menschen kennen, die im späteren Leben von der Gesellschaft – und oft auch von sich selbst – auf irgendeine Weise „aufgegeben“ wurden. Sie kamen, wie man sagt, „auf die schiefe Bahn“ und landeten im Gefängnis. 

Als Träger des Melchisedekischen Priestertums hatte ich in all den Jahren meiner Mitgliedschaft in der Kirche mehrere Male auch den Auftrag Mitglieder im Gefängnis zu besuchen. Dies war aber keine wirkliche, fortgesetzte, seelsorgerische Betreuung. Vor etwa sechs Jahren wurden diese sporadischen Aufträge wegen eines aktuellen Falles auf die Bitte unseres Bischofs hin in eine Betreuungspflicht umgewandelt, der ich seither regelmäßig nachkomme.

Da die Justizanstalt, wo der straffällig gewordene Bruder einsaß, von meinem Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht einfach zu erreichen war, war ich anfangs nicht sehr begeistert, die notwendigen Fahrten mit mehrmaligem Umsteigen auf mich zu nehmen. Doch das Wertvolle und Schöne an meiner Aufgabe ergab sich bereits nach einigen Wochen. Zwischen dem Häftling und mir hatte sich eine Freundschaft entwickelt und die anstrengenden Besuche waren zu erbauenden Erlebnissen geworden.

Das entscheidende bei solchen Besuchen ist immer der erste Kontakt mit dem Häftling. Man steht vor der Herausforderung, einen Menschen so zu sehen, wie der Herr ihn sieht. Welchen Zugang zueinander finden zwei Menschen, die einander das erste Mal sehen und in sehr verschiedenen Umständen aufeinander treffen? Kann ich meinem Gegenüber vorurteilslos in die Augen blicken? Oder muss ich das Gefühl „Richter sein zu müssen“ unterdrücken? Bin ich bereit und würdig, nach Inspiration zu streben, wenn ich die Hilfe des Herrn brauche? Bin ich bereit, die guten Seiten eines Kindes Gottes zu erkennen – egal was er getan hat? Mir haben in dieser Situation vor allem zwei Zitate geholfen. Eines stammt von Anton Hofbauer, einem Bruder aus unserer Gemeinde: „Es geschieht nichts, es sei denn, dass jemand Glauben habe!“ und eines von Elder Maxwell: „Wenn du einen Menschen so behandelst wie er ist, wird er bleiben wie er ist. Wenn du ihn so behandelst wie er sein könnte, wird er werden, was er werden soll.“

Peter Mayrl vor dem Eingang zur Justizanstalt Stein.
Ostseite des Gefängnisses Stein, das aus Sicht von Bruder Mayrl einen Eindruck von der „hoffnungslosen Leere und Kälte“ dieses Gebäudes vermittelt.

Die Herausforderung eines Gefängnisseelsorgers besteht aus meiner Sicht darin, Glauben an die Fähigkeiten eines straffällig gewordenen Menschen zu entwickeln und in der Folge im Häftling den Glauben an sich selbst zu erwecken! Das erfordert Einfühlungsvermögen und Inspiration sowie einiges an Geduld! Darüberhinaus werden für die Ausbildung und Fortbildung von Gefängnisseelsorgern von der Justizakademie von Zeit zu Zeit Kurse angeboten. Ergänzend dazu laden vor allem die großen österreichischen Kirchen alle Seelsorger, egal welcher Kirche sie angehören, zu Seminaren ein. Das Erbauende an diesen Seminaren ist, dass kein Unterschied zwischen Teilnehmern von kleineren oder größeren Glaubensgemeinschaften gemacht wird. Es herrscht dort eine Atmosphäre der Akzeptanz, der Toleranz und der Nächstenliebe. Eines der wichtigsten Lernziele innerhalb dieser Seminare ist es, uns ein Gefühl davon zu vermitteln, wie ein Häftling sich fühlt. Er hat meist keinerlei eigenen Aggressionsbereich, kaum einen eigenen Handlungsspielraum und muss sich den Anweisungen der Gefängnisleitung völlig unterordnen. Der Häftling verliert oft auch seine eigene Identität. Es wird daher vorkommen, dass der Seelsorger der einzige Mensch ist, bei dem der Häftling seine Aggressionen aussprechen und abbauen kann.

Bei meinem ersten Seminar für Gefängnisseelsorger konnte ich eine interessante Feststellung machen. Die Teilnehmer kamen aus verschiedensten Glaubensgemeinschaften mit sehr unterschiedlichen, religiösen Ansichten. Aber ich hatte trotzdem sofort das Gefühl, dass diese Gruppe unabhängig von ihrer Religion etwas Besonderes verband. Es ist das die Liebe Christi, die diese Menschen im Herzen haben. 

Die Arbeit als Gefängnisseelsorger kann sehr erbauend, aber auch belastend sein. Ich selbst habe mich auch schon von der Betreuung von Häftlingen zurückgezogen, weil es anscheinend keinerlei Erfolg gegeben hat. Aber es überwiegen jene Besuche, bei denen es gelungen ist, Kinder unseres Vaters im Himmel wieder einmal zum Lachen zu bringen. Wo es gelungen ist mitzuarbeiten, dass der Häftling nicht als gebrochener Mann ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Gefängnis verlassen hat, sondern mit Mut und dem Willen auf einen Neustart im Leben. Zum Erreichen solcher Ziele sind unsere wichtigsten Werkzeuge Freundschaft, Nächstenliebe und Inspiration! Und ich möchte Zeugnis darüber ablegen, wie groß die Freude ist, wenn es uns gelungen ist mitzuhelfen, einem Kind unseres Vaters im Himmel eine lebenswerte, wertvolle Zukunft zu ermöglichen.